Die tollkühnen Männer
und ihre flimmernden Kisten

Der Nachlass des Fernsehpioniers Paul Nipkow in den Sammlungen der Museumsstiftung Post und Telekommunikation

 

Weihnachten 1883 sitzt ein armer Student einsam in seinem Berliner Zimmer und vermisst seine Familie. Da kommt ihm die geniale Idee, wie man das Telefon um ein Live-Bild erweitern könnte: Der Heureka-Moment des Fernsehens. Zentrum der Erfindung ist eine spiralförmig gelochte, rotierende Scheibe, die er zum Patent anmeldet. Der Student, Paul Nipkow, kommt nach über 40 Jahren zu spätem Ruhm: im Dritten Reich wird er zum „Vater des Fernsehens“ stilisiert. Nach seinem Tod 1940, gelangt der Nipkow Nachlass durch seine Tochter Emmi in die Sammlungen der Museumsstiftung. Hier zeigen wir hochaufgelöste Digitalisate mit maschinenlesbaren Transkripten aus der drittmittelgeförderten Erschließung des Nachlasses.

 

Der Mensch

Denker, Tüftler, Visionär

Porträtaufnahme Paul Nipkow mit Tabakpfeife

Paul Julius Gottlieb Nipkow wurde 1860 in Lauenburg in Pommern geboren. 1882 legte er das Abitur ab. Während seines Studiums der Physik, Mathematik und Elektrotechnik in Berlin erfand er ein System zur Übertragung von bewegten Bildern, das er sich am 5. Januar 1884 als „Elektrisches Teleskop“ patentieren ließ. Wegen finanzieller Engpässe und mangelnder Resonanz verfiel das Patent schon nach zwei Jahren wieder. Die technischen Grundlagen, seine Idee in die Praxis umzusetzen, fehlten noch. 1885 musste Nipkow sein Studium aus finanziellen Gründen abbrechen.
Nach einjährigem Militärdienst im Eisenbahnregiment Berlin Schönewalde nahm er eine Stelle bei der Eisenbahnsignalbauanstalt Zimmermann & Buchloh an, um seiner rasch wachsenden Familie ein Auskommen zu sichern.

Bis 1899 meldete Nipkow noch 14 weitere Patente in den Bereichen der Mechanik und der Elektrotechnik an, sieben wurden ihm zugeteilt. 1919 ging Nipkow in Pension. In den 1920er Jahren wurde an verschiedenen Stellen an der praktischen Entwicklung von Fernsehsystemen gearbeitet, und auch Paul Nipkow wurde wieder aktiv. Zwischen 1921 und 1938 reichte er weitere 34 Patentanmeldungen ein, teils neue Ideen, teils Erweiterungen existierender Patente. Er nahm zudem Kontakt zu Firmen auf, um seine Erfindungen zu verwerten.

1928 zeigte die Große Funkausstellung in Berlin erstmals Fernsehübertragungen. So wurden Medien auf Nipkow aufmerksam. 1935 verlieh ihm die Goethe-Universität in Frankfurt am Main für „seine grundlegenden Gedanken für die Fernsehverfahren“ den Ehrendoktor, die Deutsche Fernsehgemeinschaft ernannte ihn zu ihrem Ehrenpräsidenten. Auch der erste Fernsehsender, der von 1929 bis 1943 in Betrieb war, trug seinen Namen.
Paul Nipkow starb am 24. August 1940 in Pankow, wo er mit seiner Frau Sophia und den sechs Kindern gelebt hatte. Er wurde auf dem dortigen Friedhof beigesetzt - das erste Staatsbegräbnis für einen deutschen Ingenieur wurde natürlich im Fernsehen übertragen.

Die Erfindung

Bilder in Bewegung

Die wegweisende Idee des Studenten Paul Nipkow bestand darin, ein bewegtes Bild zeilenweise zu zerlegen, über eine Leitung elektrisch zu übertragen und im Empfänger wieder zusammenzusetzen. Ein bewegtes Bild, zeilenweise zerlegt, wird über eine Leitung elektrisch übertragen und im Empfänger wieder zusammengesetzt. Sein Mittel zur Bildabtastung:
Die spiralförmig gelochte, schnell rotierende Scheibe, die heute als Nipkow-Scheibe bezeichnet wird. Diese von Nipkow verbreitete Sicht auf den Moment der Erfindung findet sich in dem nachfolgenden Tondokument, in dem sein Sohn auf einer Feier zu Nipkows Ehren 1935 die Schilderung seines Vaters vorliest.

Aber die wenigsten Erfindungen kommen aus dem Nichts. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erblickten viele technische Errungenschaften das Licht der Welt. Telegrafie war salonfähig, Fotografie, Stromversorgung und Verbrennungsmotoren entwickelt, Töne konnten auf Wachswalzen aufgezeichnet und Räume mit Glühlampen erhellt werden. Forschungen und Ergebnisse der Ingenieure und Tüftler wurden in internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht und diskutiert.

Paul Nipkow vor dem nach ihm benannten Fernsehsender nach seiner Enthüllung am 29. Mai 1935 dem Tage des 1. Deutschen Fernseh-Kongresses im Funkhaus Berlin

Paul Nipkow war sein Leben lang über die Fortschritte bestens informiert, auch in seinem Patent bezieht er sich auf damals neue Erfindungen. Nachweislich bekannt waren ihm die Bildtelegraphie, also die gerasterte Übertragung eines Bildes mit einem elektrisch leitenden Stift, die fotografische Aufzeichnung von Tönen auf einer rotierenden Scheibe sowie verschiedene elektrooptische Effekte.
Nachdem Nipkow sein Patent erhalten hatte, verfasste er einen Artikel für die Elektrotechnische Zeitschrift. Angeblich erfuhr er erst an dieser Stelle, dass zuvor bereits einige teilweise ähnliche Aufbauten zur Übertragung von Bildern diskutiert worden waren. Praktisch fanden diese, wie auch das elektrische Teleskop, keine besondere Beachtung.

Die Technik war nicht reif für eine solche Entwicklung, das Patent verfiel und Nipkow verfolgte seinen Gedanken vorerst nicht weiter. Weitere Patentanmeldungen bis zu seinem vorzeitigen Ruhestand 1919 widmeten sich anderen Gebieten, erst in den 1920er Jahren nahm er seine Idee wieder auf.

Der Mythos

Vater des Fernsehens

In den 1920er Jahren entdeckte die Elektroindustrie das Fernsehen. Film und Rundfunk zeigten ihr Potential, der Physiker Dénes von Mihály veröffentlichte 1922 nach achtjähriger Forschung ein Buch über „Das elektrische Fernsehen [...]“ und reichte 1923 ein Patent auf eine „Einrichtung zum Aufteilen und Zusammensetzen von Bildern [...] besonders für Fernsehen“ ein. Etliche Firmen und die Reichspost waren seit Mitte der 1920er Jahre in der Fernsehentwicklung aktiv. Als das Medium 1928 auf der Großen Funkausstellung vorgestellt wurde, fand die Presse Gefallen daran. Der Journalist Edgar Schlesinger schreibt, dass die Gruppe „Fernsehen“ des Reichspatentamtes schon über 100 Patente enthielt, Nipkows war darunter das Älteste. In seinem Artikel schwang bereits Empörung darüber mit, dass Nipkow „keinerlei Früchte seiner Erfindung davontrug“. Vor allem Heinz Dillge und Eduard Rhein etablierten das Narrativ vom „Vater des Fernsehens“ und dem Moment der Erfindung.

In den 1930er Jahren griff Nipkow dieses auf und kämpfte durch Leserbriefe und die aktive Vermarktung seiner Patente um die Würdigung seiner Person und Erfindung. Das erste Fernsehprogramm illustrierte die technische Überlegenheit des Deutschen Reichs, Nipkow war hierfür der geeignete, repräsentative Erfinder. Auf dem ersten Fernsehkongress der Reichsrundfunkkammer 1935 wurde der Siebzigjährige mit Geld,Grußtelegrammen, einem Ehrendoktortitel sowie einem Fernsehempfänger FE III, damals unerschwingliches Luxusgut, geehrt. Weitere Anerkennungen folgten.

Paul Nipkow mit Telefunken Fernsehapparat Nr. 13 in seiner Wohnung in Berlin-Pankow, Parkstraße 12A
Paul Nipkow und der Journalist Heinz Dillge vor dem Haus Berlin-Pankow Parkstraße 12A

Auch wenn der Geistesblitz eine Legende ist und mechanisches Fernsehen nur ein technischer Zwischenschritt war, steht fest: Paul Nipkow war ein stets über die neusten Entwicklungen informierter Mann, der mit einem tiefgreifenden Verständnis und einem wachen Geist, in der Lage war, Potentiale von Erfindungen zu erkennen und zu verknüpfen. In der Literatur gilt er bis in die 1980er Jahre als Vater des Fernsehens. Seitdem erfährt seine Rolle in die Technikgeschichtsschreibung einen Wandel hin zu einer kritischeren Kontextualisierung.

Paul Nipkow auf der 14. Großen Deutschen Rundfunkausstellung in Berlin am Mikrofon vor einer Telefunken-Freilicht-Kamera 1937

Der Bestand

Fernsehgeschichte in 860 Dokumenten

Im Bestand der Museumsstiftung Post und Telekommunikation befindet sich einer von zwei Teilnachlässen von Paul Nipkow in 31 Arbeitsmappen und einer Mappe mit Presseausscnitten. Insgesamt handelt es sich um 1950 Archivalien: Patentschriften, Zeitungsartikel, Fotos, Korrespondenz, Notizen sowie Skizzen zu seinen technischen Entwicklungen.

Die Dokumente sind in verschiedenen Schriftsystemen verfasst: Neben Abfassungen mit der Schreibmaschine finden sich Manuskripte in Kurrentschrift oder in der heute nicht mehr verwendeten Kurzschrift im Stolze-System. 37 Fotos, 88 Zeichnungen und 562 Zeitungsartikel aus der Zeit von 1935 bis 1940 sowie ein Fernsehempfänger FE III von 1935 und ein Ehrenbürgerbrief von Nipkows Heimatstadt Lauenburg in einer aufwändig gestalteten Holzschatulle vervollständigen den Teilnachlass.

Der Nachlass von Paul Nipkow

Der Gesamtnachlass befand sich nach dem Tode Paul Nipkows in ungeordnetem Zustand. Seine als Nachlasspflegerin eingesetzte Tochter Emmi ordnete die von ihr als relevant erachteten Dokumente weitgehend thematisch in den heute bestehenden Arbeitsmappen und fügte einige Dokumente hinzu. In späteren Jahren wurde der Bestand ergänzt, zum Beispiel um Veröffentlichungen über Paul Nipkow. Der zweite Teil des Nachlasses befindet sich im Mitte Museum in Berlin Gesundbrunnen. Während der im Museum für Kommunikation lagernde Teil seinen Schwerpunkt auf der technischen Seite hat, finden sich im Mitte Museum neben technischen Archivalien auch persönliche Dokumente wie ein von Nipkow verfasster Roman, Briefe sowie eine von Emmi Nipkow verfasste Biografie.

Der Nachlass

Gerettet in Kisten, Körben und Koffern

Dr.h.c. Paul Nipkow während des Festaktes anlässlich seines 75. Geburtstages am 22. August 1935 mit seiner Tochter, der Erbpflegerin seines Nachlasses, im Funkhaus

Paul Nipkow starb 1940 inmitten des Zweiten Weltkrieges. Nach dem Krieg bemühte sich Emma Nipkow, genannt Emmi, Tochter und eingesetzte Nachlasspflegerin, sein Erbe lebendig zu halten. Davon zeugen die „Vater des Fernsehens“ Stempel auf den Dokumenten. In einem Brief an das Bundespostministerium von 1954 beschreibt sie, wie sie mit Mut, Glück und Geschick den Nachlass durch die Wirren des Krieges steuerte.

Nach Nipkows Tod lagerte eine „unzählbare Menge“ an Dokumenten, Fotografien, Urkunden, Handschriften und anderen Archivalien in dessen Wohnung in der Parkstraße in Pankow. Emmi wurde, um den Bombenangriffen auf die Hauptstadt zu entgehen, nach Neustettin abgeordnet. Vorher gelang es ihr, den Nachlass in Kisten, Körben, Koffern und Säcken verpackt nach Mecklenburg zu schaffen - rechtzeitig bevor 1943 eine Brandbombe das Haus in der Parkstrasse traf. In Mecklenburg lagerten die Dokumente und Objekte bei einem Gastwirt und Bauern auf dem Dachboden.
1945 erreichten die russischen Truppen den Bauernhof. Die Behälter, in denen sich der Nachlass befand, wurden gestohlen, der Inhalt aber blieb dort.

Nach 1945 kam Emmi mit alten Säcken nach Mecklenburg, sammelte die Objekte wieder ein und reiste sie mit so viel Gepäck, wie sie tragen konnte im Viehwagen zurück nach Pankow. Teile blieben beim Bauern, wo sie im Keller oder Stall versteckt bis 1947 überdauerten. Angebote zu Verkauf in private Hand lehnte Emmi ab, sie wandte sich stattdessen 1950 an die Westberliner Senatsverwaltung für das Post- und Fernmeldewesen. Der nun als „Paul-Nipkow-Sammlung“ bezeichnete, ergänzte Nachlass sollte auf ihren Wunsch hin in der Fernmeldeschule in Berlin-Tempelhof aufbewahrt werden, dort wo das Reichspostzentralamt ab 1927 Fernsehversuche durchgeführt hatte. Im August 1954 brachte sie noch vier weitere Mappen persönlich über die Sektorgrenze. 1995 ging der Nachlass an das Museum über und wurde 2018 zur Bearbeitung ins Depot in Heusenstamm überführt.

Die Digitalisate

Patente und Erfindungen

Hinweis: Zur besseren Übersicht empfiehlt sich die Sortierung nach Inventarnummern.

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Elektrisches Teleskop und Zusätze
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Synchronisier­verfahren
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Kinematograph
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Sonstige Elektrotechnik
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Sonstige Mechanik
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Notizen und Korrespondenz
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Fotos, Presse und Objekte

Projektförderung

Wir danken der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) für die großzügige finazielle Förderung im Rahmen des Programms NEUSTART KULTUR, die die Digitalisierung, die Datenaufbereitung und die Erstellung dieser Webseite ermöglichte.
Ein großer Dank gilt allen Beteiligten des Projektes Wissenswandel des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V., die unserem Team unermüdlich bei allen Fragen und Problemen äußerst kompetent und hilfreich zur Seite standen.

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Beteiligte

Dr. Tina Kubot, Frank Gnegel, Susanne Lang, Alexandra Reimer, Sabrina Manicke, Lena Katharina Streckert, Stefanie Theuerkauf, Tasmin Wengler